Am Sonntag, dem 27. November 2022, wurde der Schillerpreis der Stadt Mannheim an Emine Sevgi Özdamar übergeben. Zur Veranstaltung in der Kunsthalle Mannheim hatte ich eine Einladung vom Büro des Oberbürgermeisters erhalten, da man „Personen aus dem Kultur- und Literaturbereich“ die Möglichkeit bieten wollte, an diesem besonderen Festakt teilzunehmen.
Ich traute meinen Augen kaum, als mir die Einladung ins Mailpostfach flatterte. Wer kann dazu schon Nein sagen! Vor allem, da Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier die Laudation halten sollte. Ihn einmal ganz aus der Nähe zu erleben, war für mich schon Anreiz genug, spricht er mir doch aus der Seele, wenn es beispielsweise um Themen des Miteinanders statt Gegeneinanders, um Solidarität, um Verständnis und Verantwortung geht. Auch heute fand er die passenden Worte, wie ich finde.
„Heimat gibt es auch im Plural“ äußerte der Bundespräsident, als er über Emine Sevgi Özdamars Leben und Wirken sprach. Wie recht er damit hat. Lange habe ich mit dem Wort „Heimat“ gehadert, konnte nie wirklich etwas damit anfangen. Vielleicht, weil ich seit etlichen Jahren mit Menschen aus den unterschiedlichsten Ländern zu tun habe. Menschen, die ihre Heimat aus vielerlei Gründen aufgegeben und hier eine neue gefunden haben (oder auch nicht). Menschen, die manchmal nach großen Anstrengungen die deutsche Staatsbürgerschaft erlangt haben – und bei Fußballweltmeisterschaften der Mannschaft ihrer früheren Heimat, die nach wie vor ihre sprachliche Heimat ist, zujubeln. Menschen auf der Flucht, die teilweise nicht wissen, wo ihre Heimat eigentlich ist. Heimat im Plural, ja, das passt!
Übrigens: Auch Schiller war auf der Flucht. Er war vor seinem Landesherrn Herzog Karl Eugen aus Württemberg geflohen. Sein Werk „Die Räuber“ wurde in Mannheim uraufgeführt und machte ihn schlagartig berühmt. Der Konflikt zwischen Verstand und Gefühl, zwischen Gesetz und Freiheit, zentrales Thema der Räuber, hat an Aktualität nie verloren.
Mit dem Schillerpreis werden Persönlichkeiten gewürdigt, „die durch ihr Schaffen zur kulturellen Entwicklung in hervorragender Weise beigetragen haben“. Das trifft auf die diesjährige Preisträgerin – Autorin, Schauspielerin, Regisseurin – unbedingt zu.
In seiner Rede ging Oberbürgermeister Kurz auf ihre Biografie ein, die „geformt sei vom ständigen Wechsel der Lebens- und Arbeitsorte, vom Ankommen, Zurechtfinden, immer von Neuem - stets verknüpft mit der Konstante Kunst“.
Und der Bundespräsident schwärmte geradezu von ihrer „sehr eigenen, funkelnden, poetischen, traurigen und sehr komischen, kurzum überbordenden Sprache“.
Ich glaube, diese Beschreibung passt – denn im Anschluss an die Würdigungen kam auch die Preisträgerin zu Wort. Ich hätte ihr stundenlang zuhören können, so fesselnd und humorvoll erzählte sie.
Bisher habe ich noch nichts von Emine Sevgi Özdamar gelesen. Doch „Ein von Schatten begrenzter Raum“ liegt seit heute ganz oben auf meinem Bücherstapel (danke liebe Birgit Baldauf für dieses wundervolle Geschenk!!).
Zum Abschluss der ausgesprochen kurzweiligen Reden wurden die Gäste in beeindruckender Weise noch mit Gänsehautschauern bedacht. Denn Chor und Orchester des Nationaltheaters Mannheim beendeten den Festakt in Flashmob-Manier mit der „Ode an die Freude“ (zur Erinnerung: der Text stammt von Schiller!).
Es kam, wie es kommen musste. Wie so oft bei diesem grandiosen Stück kullerten mal wieder die Tränen. Glücklicherweise nicht nur bei mir, auch meine liebe Begleiterin Birgit zückte schleunigst das Taschentuch (und etliche andere Gäste im Publikum ebenfalls).
Spätestens bei der Zeile „Alle Menschen werden Brüder“ dürfte jedem Zuhörer der Zusammenhang zwischen Frank Walter Steinmeiers Worten, Emine Sevgi Özdamars Texten, Schiller und der Bedeutung von Heimat (bitte im Plural) klar geworden sein.